Mit Gott in Berührung kommen

csm_jugonet_aa039439bdoder: Wie der Glaube Speck ansetzt

Predigtimpuls

Er hatte es nicht darauf angelegt, er wollte eigentlich nur dabeisein und zusehen. Die ganz normale Publikums-Rolle – ein bisschen sehen und hören, lachen, applaudieren – war völlig in Ordnung. Und deshalb war auch die Distanz zur „Show“ völlig in Ordnung: Hoch oben vom Baum konnte er viel besser das ganze Spektakel um Jesus überblicken. Zachäus – ein Zaungast des Glaubens. Aus sicherer Entfernung dabei. Ist er aber UNS nicht ganz nah? Sind nicht auch wir allzu oft Zaungäste des Glaubens – in einer Art Publikums-Rolle, mit gewissem Sicherheitsabstand gegenüber Jesus?

Aber: Distanzerfahrung ist nicht Heilserfahrung. Zachäus ist uns heute ein authentischer Zeuge, der es selbst gekostet hat: „Gott NAHE sein, ist mein Glück.“ Er ist mit Gott in Berührung gekommen. Welch ein Glück?! – Bleiben wir ihm auf den Socken und nehmen die Spur auf.

Warten

Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. (Lukas 19,4)

Das Glück, mit Gott in Berührung zu kommen, lässt auf sich warten. Der beglückende Nahkontakt des Zachäus mit Gott (und der Gottes mit ihm) beginnt mit Warten. Nicht unbedingt chillig… so auf dem Baum. Diese Spur der Annäherung an Gott ist sperrig, denn: Wir leben ein einer ungeduldigen Zeit. Was sein soll, muss heute, „jetzt und sofort“ sein. Was gesucht und gewünscht wird, verträgt keine Wartezeit, keinen Aufschub, keinen Frust der Lücke. Fast-Food-Frömmigkeit gibt es zuhauf: In Workshops, die maximal 90‘ dauern dürfen, erwarten wir, dass uns die Welt erklärt wird, dass unsere jahrelangen Sorgen gelöst werden. Wenn ein Gottesdienst nicht sofort Glücks-Schmetterlinge freisetzt, landet er in der geistlichen Restmüll-Tonne. Aber „Rezeptitis“ hilft eben nicht wirklich: Was wirklich hilft und heilt, braucht Zeit. Warte-Zeit. Eine fromme Instant-Kultur hat es schwer, mit Gott in Berührung zu kommen. Sie bietet den einen oder anderen Glückskeks, doch wirklich nahrhaft ist der nicht. Mit den Dingen nicht gleich fertig sein, sondern noch mit Überraschungen rechnen, mit Gott noch rechnen, auf  Gott warten, vielleicht auch schweigend, betend: Kann ich das (noch)? – Zachäus‘ Spur zeigt: Warten lohnt.

Den Blick Jesu erblicken

Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf… (Lukas 19,5a)

Zachäus wird nicht einfach abgehängt und sitzen gelassen. Sein Mut zum Warten auf Jesus, sein Aushalten der Lücke findet Resonanz: Jesus kommt auf ihn zu. Zachäus erfährt Gott als einen, der sieht, aufsieht, ansieht – und dadurch aufrichtet. Gerade darüber kommen wir in Berührung mit Gott: dass wir sehen, wie ER uns ansieht. Dabei stoßen wir nicht auf einen kontrollierend-herablassenden „Hab-bloß-Acht“-Blick, denn Jesus „sah auf“, sieht von unten nach oben. Wenn ich mit Zächaus sehe, wie Jesus mich ansieht, dann entdecke ich in seinem Gesicht einen wertschätzenden Blick: Mein Leben – wertgeschätzt und gewürdigt. Gottes Blick zu erblicken, heißt, ihn als „Immanuel“ (Gott mit uns, mit mir) zu entdecken. Sehen, wie er mich ansieht, heißt, einen Freund sehen. Nur: Seh‘ ich´s? Blick‘ ich´s? Nehme ich wahr, wie Gott mich wahrnimmt? Sehe ich, dass ich ein „angesehener“ Mensch bin?

Dieses Augen-Spiel verwandelt die Distanzerfahrung gegenüber Gott zu einer Vertrauenserfahrung. Das ist kein Zufall: Sehen, wahrnehmen ist immer auch eine sinnlich-leibliche Bewegung, die Nähe wirkt. Eine Frömmigkeit ohne Leiblichkeit bleibt ein unverbindliches Gedanken-Spiel. Aber mit dem Leib bleiben wir auf dem Boden, bleibt unser Glaube geerdet, wird das Kopfwissen um die Liebe Gottes mitten ins Herz gespült. Man kann mit Gott nicht abseits des Leibes und der Leiberfahrung in Berührung kommen. Wie könnte man auch ohne Hände oder Beine etwas, jemanden berühren?!

Diese Einsichten kommen in einer Gebetsübung von Teresa von Avila zusammen. Sie gilt als ihre Lieblingsweise des Betens mit Gott und nennt sich: „Mira que te mira“ – „sieh, wie er dich ansieht!“
Atme ruhig und still, komme zu dir in seiner Gegenwart; dann sieh, dass er dich schärfer ins Auge fasst, als du ihn anzusehen vermagst; sieh, dass du ein „angesehener“ gewürdigter Mensch bist. Jesus sieht dich liebevoll und wertschätzend an. Nimm Blickkontakt mit den Augen Jesu auf und spüre in deinem Körper nach, welche Resonanz sein liebender Blick in dir wirkt.

Mein Name in seinem Mund

… und sprach zu ihm: Zachäus… (Lukas 19,5b)

Nachdem Zachäus schon etwas zu sehen bekam, gibt´s nun noch etwas auf die Ohren: Im Erblicken des Blickes Jesu wird Gott ihm zu einem sprechenden, ansprechenden Gott! Jesu Wort, sein Reden wird persönlich: „Zachäus“ hört er seinen Namen im Munde Jesu – mein Name kommt in Gottes Mund zum Klingen. Wo ich mit Gott in Berührung komme, wird Gott persönlich und spricht mich an.

Natürlich kann ich vom Hörensagen und in dogmatischer Perspektive bekennen, dass Gott der Schöpfer ist, dass Jesus Versöhnung ins Leben trägt, dass der Heilige Geist tröstet und inspiriert. Nur: Geredet und gepostet wird jede Menge. Ein dogmatischer Objektivismus ist letztlich langweilig. Das wirklich Spannende ist der persönliche Zugang, Umgang mit den gesetzten Richtigkeiten des Glaubens. Martin Luther macht dies im kleinen Katechismus in seiner Erklärung zum zweiten Glaubensartikel unüberholt deutlich: Natürlich ist Jesus der Herr allen Lebens – unabhängig davon, ob wir´s glauben oder nicht. Aber worauf es dabei ankommt, ist nach Luther: „… dass er sei MEIN Herr…!“ Es geht darum, Gott persönlich zu hören, hören, wie er MICH anspricht, in mein Leben spricht. Etwas weiter gefasst: den Niederschlag seines Segens in meiner Existenz, seine Spuren in meinem Leben zu entdecken. Wunder der Berührung.

Nach Hause kommen

… steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. (Lukas 19,5c)

Zachäus wird heruntergeholt von seinem hohen Baum (vielleicht auch von seinem hohen Ross) –  und von Gott nach Hause gerufen. Der Glaube, der warten kann und dann Gottes Blick erblickt und einen an-sprechenden Gott erfährt, findet nach Hause. Kein spektakulärer Ort für eine Gottesberührung. Nicht ein Lobpreis-Gottesdienst, nicht die Holy-Spirt-Night, nicht die Fastenaktion und kein Anselm-Grün-Seminar stehen im Mittelpunkt: Mit Gott in Berührung kommen, ereignet sich am Ende zu Hause. Wir werden nach Hause geliebt.

Blaise Pascal, der französische Philosoph und Christ, hat gesagt: „Alles Übel in der Welt rührt daher, dass niemand mehr ruhig in seinem Zimmer bleiben kann.“ Wo der Mensch mit Gott in Berührung kommt, wird er von diesem Grundübel geheilt: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren.“ (Lukas 19,9) Der berührte und berührende Gott lässt mich nach Hause finden, mich zu mir kommen. Nicht abseits dieser Heimaterfahrung geht Gott „auf du“ mit mir.

Bei Zachäus hat dies alles umgekrempelt: Seine Lebenspotientiale wurden entschlüsselt, freigeschalten. Er wurde ein Anderer. Angesichts der Naherfahrung Gottes können wir nicht die Alten bleiben. Denn die Berührung mit Gott führt in eine sinnlich-festliche Fülle des Seins. Man schmeckt und sieht, wie freundlich der Herr ist. Zaungästen des Glaubens mag das Wort allein genügen, einem Glauben, der Jesus als „Brot des Lebens“ kennt, nicht: Er sucht die sinnliche leiborientierte festliche Verwandlung des Lebens, denn die geistliche Magersucht macht am Ende nicht sportlich-schlank, sondern krank. „Verkostung nährt die Seele, nicht das Viel-Wissen“, flüstert uns Ignatius ins Ohr. Mit Gott in Berührung kommen, führt zu einem Leben und Glauben mit Geschmack. Das Warten-Können, das sinnliche Augen- und Hörspiel mit Gott und das Nach-Hause-Kommen sind dafür entscheidende Zutaten. Darum: Wo bist du mit Gott unterwegs – noch auf dem Baum doer schon Zuhause? – Amen.

è Hinweis zur liturgischen Vertiefung

Im Anschluss an die Predigt kann man entweder die Übung Teresas einmal ausprobieren oder aber auch gemeinsam Abendmahl feiern. Beides nimmt das Gesagte verdichtend, leiborientiert auf.

 

Steffen Kaupp, Pfarrer und Projektreferent beim Evang. Jugendwerk in Württemberg für „Alternative Gottesdienste“ und „Milieusensible Arbeit“

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