Predigt zur Jahreslosung 2016 von Manfred Günther

Liebe Gemeinde!

Wir wollen auf das Losungswort für das Jahr 2016 hören. Zuerst hat Gott dieses Wort zu seinem auserwählten Volk Israel gesprochen. Rund zweitausendfünfhundert Jahre ist das her. Aber ich glaube, auch uns heute sagt Gott dieses gute Wort und es will uns in den kommenden Monaten begleiten, uns immer wieder neuen Mut schenken und uns zu einem getrosten Leben helfen.

Das ist die Jahreslosung für die kommenden zwölf Monate:

Gott spricht:
Ich will euch trösten,
wie einen seine Mutter tröstet.
Jesaja 66,13

Die Israeliten damals hatten schlimme Zeiten erlebt. Ihr Tempel war zerstört, große Teile des Volkes waren verschleppt worden. Vier Jahrzehnte mussten sie als Gefangene in Babylon leben. Endlich durfte der Rest des Volkes wieder heimkehren. Aber der Tempel lag in Trümmern. Jerusalem war eine Geisterstadt und die Menschen waren mutlos und ohne Hoffnung. Wie sollte aus Ruinen wieder eine Stadt werden, in der es sich zu leben lohnte?

Da hinein spricht Gott: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. „Ihr sollt erfahren, dass die bösen Zeiten zu Ende sind und eine bessere Zukunft auf euch wartet. Ihr werdet wieder aufrichten, was am Boden liegt. Die Wunden der Vergangenheit sollen geheilt werden. Was ihr heute noch für unmöglich haltet, wird geschehen. Ihr werdet euch wieder freuen und lachen können!“ –

Liebe Gemeinde, geht es uns nicht ähnlich? Sind wir nicht auch oft mutlos und ohne Hoffnung? Wer erwartet denn noch mehr vom Leben, als dass es vielleicht noch ein bisschen so weitergeht, mehr oder weniger erträglich? Wem ist der Mut nach hundert Enttäuschungen noch nicht ausgegangen? Können wir uns den großen Aufbruch, die Veränderung, die uns froh macht, denn wirklich noch vorstellen – in unserem, in diesem Leben? Hoffen wir wirklich noch auf erfüllte Tage, auf ein bisschen Sinn oder wenigstens den Halt, an dem wir uns festklammern können? Sind nicht die Wünsche, die wir einmal hatten, längst begraben? Reden wir uns nicht lange genug schon ein, wir wären aber ganz zufrieden, so wie es ist und ‚Hauptsache gesund‘!? –

Gott spricht auch zu uns: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. – Aber sind wir noch zu trösten?

Ein Mann, den ich kenne, hat vor Jahren einmal vorgehabt, zu studieren und Arzt zu werden. Er war sehr versessen auf dieses Ziel. Sein Leben ist dann aber so verlaufen, dass ein Studium nicht möglich war. Zu viel kam dazwischen: Der Tod der Eltern, die Liebe zu einer Frau, die Kinder… Er musste in einem ganz anderen Beruf sein Geld verdienen. Nach und nach sind seine Träume zerplatzt und er hat sich eingeredet: „Aber, es ist ja auch so ganz gut!“ Mit den Jahren hat er sich – wie man so sagt – getröstet. – Aber wirklich glücklich ist er nicht! Auch die Wunde, an die man nicht denken will, schmerzt von Zeit zu Zeit. Er hat sich zwar in sein Schicksal ergeben, aber sein Leben ist das immer noch nicht, das er führt. Er hat keinen wirklichen Trost gefunden.

Und eine Frau kenne ich, die wollte immer so gern einen Mann und Kinder haben, möglichst fünf oder sechs. Aber sie hat nie den Richtigen getroffen. Inzwischen ist sie 38; sie denkt nur noch manchmal an Familie. Im Gespräch mit ihr gewinnt man den Eindruck: Sie ist darüber weg. Sie würde vielleicht sagen: „Aber, ich könnte heute einen Mann und Kinder gar nicht mehr gebrauchen, bei meiner Stellung!“ Nur in den Stunden allein kommt der ganze Jammer manchmal über sie. Dann weint sie und weiß: Wirklich getröstet ist sie nicht!

Dann gibt es da noch einen sehr alten Menschen, den ich kenne: Er ist gute Wege gegangen und schlechte Wege. Wie andere auch. Nur: Ihm fällt es so schwer, das Böse seiner Jahre, „böse“ zu nennen. Er kann nichts bereuen. Immer muss er nach Entschuldigungen suchen, selbst da, wo ihn keiner beschuldigt hat. Ja, er ist wie besessen davon, Versäumtes zu verniedlichen und Begangenes zu bestreiten. Aber froh oder auch nur ruhig macht ihn das nicht. Immer wieder wird er davon anfangen, wie es gewesen sein soll, welche Rolle er dabei gespielt haben will… Wirklicher Trost liegt offenbar nicht in dem, was er sich einredet!

Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Hier ist mehr! Nicht: tröstet euch, wenn eure Lebenspläne scheitern. Nicht: tröste dich, wenn du verstrickt bist in Schuld und die Last deiner Vergangenheit. Nicht: tröstet euch, wenn eure Wünsche offen bleiben und eure Hoffnungen unerfüllt. Nicht: tröste dich damit, dass du’s verdient hast oder weil doch gewiss irgendwann noch einmal bessere Tage kommen. Nein! Ich will dich trösten, spricht dein Gott! Ich bin schon unterwegs zu dir!

Was wollte Gott den Heimkehrern aus der babylonischen Gefangenschaft damals sagen? Wie sah Israels Trost aus angesichts der Trümmer ihrer Stadt und ihres Tempels?

„Deine Gefangenschaft ist vorbei, deine Schuld ist vergeben! Die Zeit deiner Schmach ist um! Die Strafe ist verbüßt! Hörst du’s nicht, wie freundlich ich mit dir rede? Ich will zu dir kommen; ich will dich selbst trösten. Bereite mir den Weg zu dir! Räume beiseite, was mich hindert: Die Berge deiner Zweifel, den Wust all dessen, was du dir einredest und jedes Wort, mit dem du die Schuld, die ich dir schon vergeben habe, verharmlost. Deine Hoffnungslosigkeit soll der Zuversicht weichen, du sollst wirkliche Hilfe finden. Ich bin auf dem Weg zu dir! Ich will dich trösten!“ – Wahrhaftig: Hier ist mehr als „sich trösten“! Hier ist der Trost, der uns zugesprochen wird. Hier ist Gottes Trost.

Der Mann, von dem ich erzählt habe, darf sich sagen: Das ist mein Leben, das ich lebe! Gott hat in ihm seine Aufträge an mich. Er hat es so gewollt und gerade mit dem Beruf, den ich habe, kann ich ihm dienen. Da, wo ich stehe, ist der Platz, an den er mich gestellt hat. Nichts daran war Zufall oder Pech oder gar böses Verhängnis. Und Gott kommt auch in diesem Leben auf mich zu. Er kommt zu mir und mit ihm sein Trost!

Und die Frau darf von Gott wissen: Er ist nicht erst in der Zukunft, die du dir erträumst! Er ist jetzt bei dir. Dein Leben, so wie es ist, soll der Ort sein, an dem du ihm dienst. Du bist reich in ihm, gesegnet durch ihn, erfüllt durch seine Aufgaben für dich. Hör‘ auf zu träumen, hör‘ auf zu ersehnen, was nicht sein kann… Hör‘ auf seine Stimme! Er kommt zu dir. Er hat den Trost für dich. Du wirst ihm begegnen – und mit ihm der Freude!

Und auch der Alte darf endlich freiwerden: Weg mit den Lügen und dem Selbstbetrug! Ja, die Vergangenheit hat viel Schuld gebracht; ja, du trägst an mancher Last; ja, deine Wege waren oft schlecht und nicht gerade; ja, du hast Vergebung nötig und einen neuen Anfang! – Bereite meine Straße zu dir! Lass mich bei dir einziehen! Nimm dich an, wie du bist, schuldig und meinem Urteil verfallen – und nimm mich an: mein Ja zu dir, mein Verzeihen, das Geschenk des neuen Beginns. So werde ich zu dir kommen. So empfängst du meinen Trost. Öffne mir dein Herz!

Das Volk Gottes damals hat die Stadt und den Tempel wieder aufgebaut. Gott hat ihnen Zukunft eröffnet, alle seine Verheißungen wahr gemacht. Er hat sie getröstet, wie einen seine Mutter tröstet.

Das will er auch an uns tun! Wir mögen uns in Sorgen um unsere Zukunft verzehren – Gott hat sie in der Hand. Wir mögen vor den Trümmern unseres Lebens stehen – Gott kann daraus Freude und Glück werden lassen. Wir mögen uns in unbewältigten Krisen aufreiben, von Fragen gequält, in Ängsten und von bösen Erwartungen bedroht sein. Wir wollen Vertrauen haben: Gott kommt zu uns und wird uns trösten.

AMEN

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Manfred Günther
Autor und Pfr. i. R.
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