Predigt zur Jahreslosung 2019

von Dekan Frithjof Schwesig, Blaubeuren

Jahreslosung 2019
„Suche Frieden und jage ihm nach.“
(Psalm 34, 15)

Liebe Gemeinde,
das neue Jahr hat begonnen und wir machen uns auf die Reise durch die kommenden zwölf Monate. Verschiedene Ereignisse und Entscheidungen stehen 2019 an:

  • Das Dieselfahrverbot in Stuttgart für Fahrzeuge bis zur Abgasnorm Euro 4 – seit heute ist es in Kraft. Das betrifft auch eine ganze Reihe Blaubeurer, die jeden Tag nach Stuttgart mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen.
  • Am 29. März scheidet Großbritannien – wenn kein Wunder geschieht – aus der Euro-päischen Union aus. Der Brexit wird vollzogen.
  • Ein Geburtstag steht an: Am 23. Mai feiert die Bundesrepublik Deutschland ihr 70-jähriges Bestehen. Denn am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft. 5 Monate später gründete sich die Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Das war am 7. Oktober 1949. Damit existierten bis 1990 zwei deutsche Staaten.
  • Was steht noch an? Am 26. Mai ist Europawahl und gleichzeitig in Blaubeuren Kom-munalwahl.
  • Wo wir gerade beim Thema Wahlen sind und Angela Merkel „nur“ noch Kanzlerin der Großen Koalition ist: Wird die Koalition halten oder wird es Neuwahlen geben?
  • Außerdem werden wie jedes Jahr wieder die Radrennfahrer der Tour de France Berge erklimmen, es wird Weltmeisterschaften geben und und und.

Aber fragen wir nach uns.
Was werden wir 2019 erleben?
Wo werden wir am Ende des Jahres stehen?

So fragen wir und hoffen, dass wir und unsere Lieben gesund und von Schicksalsschlägen verschont bleiben.

Für die Reise durchs neue Jahr bekommen wir eine Jahreslosung an die Hand. Die Jahreslosungen verdanken sich dem württembergischen Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller, in Bad Cannstatt geboren. Otto Riethmüller begrüßte ursprünglich mit vielen anderen die nationalsozialistische Bewegung. Aber als er erkannte, wes Geistes Kind diese Menschen waren, wollte er den Parolen der Nationalsozialisten ein Bibelwort entgegenstellen. So rief er die Tradition der Jahreslosungen ins Leben. 1930 erschien die erste, ein hochpolitischer Akt. Sie lautete: „Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht.“ Die Tradition hat sich erhalten. Heute hören wir die Jahreslosung für 2019: „Suche Frieden und jage ihm nach.“

Diese Worte entstammen dem 34. Psalm. In ihm geht es u.a. um die Frage nach dem Glück: „Was muss ich tun, damit ich glücklich bin? Wie muss ich leben, dass meine Tage glückliche Tage sind?“ Der 34. Psalm antwortet auf diese Fragen nicht mit einer To-Do-Liste, die einem mit erhobenem Zeigefinder präsentiert wird im Sinne von: „Mach dies und das, handle so und so – und am Ende wartet das Glück auf dich.“

Stattdessen antwortet der Psalm mit einem Blick darauf, was es braucht, damit der Mensch so leben kann, wie es Gottes Willen entspricht: „Du willst leben, wie es Gottes Willen entspricht? Dann, so heißt es im Psalm, „nimm deine Zunge gut in acht, rede nichts Böses. Sprich stets die Wahrheit, lass ab vom Bösen, tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!“

Bleiben wir zunächst beim Wort „Frieden“. Hier sind wir uns schnell einig: Frieden finden wir alle gut. Aber was sind wir bereit dafür zu geben? Und vor allem – was meinen wir, wenn wir von Frieden sprechen?

Ich bin als Mensch des Jahrgangs 1960 davon geprägt, dass von Frieden immer nur in Zu-sammenhang mit dem Begriff der „Abschreckung“ geredet wurde. Immer wieder versuchten kriegsführende Nationen den Frieden herbeizukämpfen und tun es heute noch. Nichts hat sich geändert. Wer diese Logik hinterfragt, wird schnell zum Ziel öffentlicher Anklage – wie die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. In ihrer Neujahrspredigt 2010 im Berliner Dom sprach sie die berühmt gewordenen Worte: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Ein Bundeswehroffizier hatte ihr zuvor geschrieben, sie glaube wohl, sie könne mit weiblichem Charme die Taliban vom Frieden überzeugen. Daraufhin sagte Margot Käßmann in ihrer Predigt: „Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden.“ Heute, neun Jahre später, wird in Afghanistan noch immer gelitten und gestorben.

„Suche Frieden und jage ihm nach.“ Dem Psalmbeter geht es nicht um weltpolitische Zu-sammenhänge und Friedensinitiativen. Ihm geht es um den Menschen, der sich fragt: „Was muss ich tun, damit ich glücklich bin? Wie muss ich leben, dass meine Tage glückliche Tage sind?“ Die Antwort des Psalmbeters: Jage dem Frieden nach!

Die Kombination „Friede“ und „Jagen“ irritiert zunächst. Ich fühle mich erinnert an die Worte Alexander Gaulands nach dem Bundestagseinzug der AFD im September 2017: „Wir werden sie jagen“, sagte er damals und meinte die Bundeskanzlerin. Gegensätzlicher kann das Psalmwort nicht sein. Nicht Menschen sollen wir nachjagen, sondern dem Frieden.

Die Kombination „Friede“ und „Jagen“ wirkt fast gewalttätig. Ich sehe Tiere vor dem inneren Auge, die gejagt werden und um ihr Leben laufen. Wäre es nicht besser zu sagen „nach dem Frieden streben“? Aber „Streben“ klingt so moralinsauer; nach dem Versuch, die nächste Entwicklungsstufe auf dem Weg zu einem reiferen, besseren Menschen zu erklimmen.

„Jagen“ dagegen – da schwingt Leidenschaft mit. Engagement. Ausdauer. Langer Atem. Alles das braucht der Frieden. Es braucht …

  • … einen langen Atem für Frieden, wo Nationalismus erneut und ohne Scham in unse-ren Reihen wieder aufflammt.
  • … Ausdauer für den Frieden, wo Minderheiten angegriffen und pauschal für soziale und gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht werden.
  • … das Engagement für den Frieden, da heute in öffentlichen Diskursen Brandstifter das Podium besteigen und Unfrieden und Misstrauen stiften.
  • … die Leidenschaft für den Frieden, da man Waffen verkauft und gleichzeitig auf das Ausbleiben ihrer Anwendung hofft – welch‘ ein Widerspruch!

Frieden ist nichts, was sich von selbst ergibt oder erhält. Für Frieden müssen wir aktiv einstehen. Uns mühen. Frieden ist ein Tun-Wort!

  • Da ist der nicht bearbeitete Konflikt zwischen Arbeitskollegen; man geht sich aus dem Weg und meidet den Kontakt.
  • Da ist der immer neue Streit zwischen Eheleuten, der sich manchmal an Kleinigkeiten entzündet; ein Wort gibt das andere und führt zur Entfremdung.
  • Da ist der Unfrieden, der in einer Erbschaftsangelegenheit eine Familie auseinander-bringt; Verdächtigungen und Vorwürfe nehmen überhand und vergiften das Miteinander.

Bei all diesen Situationen sind wir gefragt. Finde dich mit dem Unfrieden nicht ab! Sei energisch und kreativ bei deiner Suche nach Lösungen! Und vergiss nicht: Mit der Sprache fängt es an. Denn Worte haben Macht. Sie können aufrichten, aber auch hinrichten. Sie können versöhnen, aber auch töten. Darum: „Nimm deine Zunge gut in acht“, rät der Psalmenbeter. Setze dein ganzes Herz für Gerechtigkeit und Frieden ein! Und auch deine Gebete. Wenn du das tust, wirst du die wunderbare Erfahrung machen, dass sich für Frieden einzusetzen glücklich macht. Zum einen, weil es etwas zutiefst Sinnvolles und Erfüllendes ist, sich für ein friedliches Miteinander einzusetzen. Und zum anderen, weil es genau das ist, was Gott sich von dir wünscht. Auch im neuen Jahr.

Das neue Jahr hat begonnen und wir machen uns auf die Reise durch die kommenden zwölf Monate. Wir kennen die Situationen heute noch nicht, die uns im Bemühen um Frieden in diesem Jahr herausfordern werden. Aber wir können darum beten, dass Gott uns, wenn es darauf ankommt, die Kraft, den Mut und das rechte Worte zur rechten Zeit zum Frieden geben wird.

Amen.